Wenn man eine Pflegestufe beantragt, heißt das nicht, dass diese auch genehmigt wird. Jeden Tag werden in Deutschland mehrere hundert Anträge auf eine Pflegestufe abgelehnt. Manche zu recht, viele zu unrecht. Dies gilt auch für Anträge auf eine Höherstufung der Pflegestufe.
Um Pflegegeld in Anspruch nehmen zu können und die Höhe des Pflegegeldes festzulegen, muss zunächst der Grad des Pflegeaufwandes des Hilfebedürftigen festgestellt werden. Zur Anerkennung der Pflegebedürftigkeit besucht der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) den Antragssteller vor Ort. Nach seinem Besuch erstellt er ein Pflegegutachten, welches er an die Pflegekasse des Hilfebedürftigen sendet.
Irrtümlicherweise wird oft gemeint, dass der MDK den Antrag im Zuge seiner Prüfung genehmigt. Doch der MDK begutachtet lediglich als unabhängiges Organ. In seinem Gutachten bezieht der MDK zu folgenden Punkten seine Stellungnahme:
- Liegen die Voraussetzungen für eine Pflegebedürftigkeit vor
- Umfang der Pflegetätigkeit der Pflegeperson
- Liegt eine (erheblich) eingeschränkte Alltagskompetenz voR
- Beginn der Pflegebedürftigkeit bzw. der Höherstufung
- In welche Pflegestufe der Hilfsbedürftige eingestuft wird
- Prüfung, ob ein außergewöhnlich hoher Pflegebedarf (Härtefall) vorliegt
Aufgrund dieses Gutachtens nimmt die jeweilige Pflegekasse die Einstufung in eine der vier Pflegestufen vor oder lehnt den Antrag ab. Je größer der zeitliche Pflegeaufwand ist, desto höher fällt auch die zugeteilte Pflegestufe aus.
Dabei ist die Einteilung in die verschiedenen Pflegestufen abhängig vom jeweiligen täglichen Zeitaufwand der pflegenden Person und dem zeitlichen Verhältnis von pflegerischer und hauswirtschaftlicher Hilfe. Im Bereich der Grundpflege zählen Tätigkeiten wie Waschen, Duschen, Zahnpflege, Kämmen und Rasieren, An- und Ausziehen, Mahlzeiten zuführen und Bereiche der Mobilität. Im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung zählen Tätigkeiten wie Einkaufen, Kochen, Spülen, Aufräumen, Reinigung der Wohnung, das Wechseln und Waschen der Wäsche.
Welcher Zeitbedarf muss für welche Pflegestufe vorliegen?
- Bei Pflegestufe 0 liegt die tägliche Gesamtpflege bei unter 45 Minuten.
- Bei Pflegestufe I ist eine tägliche Mindestgesamtpflegezeit von 90 Minuten erforderlich. Davon müssen mehr als 46 Minuten auf die Grundpflege entfallen.
- Bei Pflegestufe II ist eine tägliche Mindestgesamtpflegezeit von 180 Minuten erforderlich. Davon müssen mehr als 120 Minuten auf die Grundpflege entfallen.
- Bei Pflegestufe III ist eine tägliche Mindestgesamtpflegezeit von 300 Minuten erforderlich. Davon müssen mehr als 240 Minuten auf die Grundpflege entfallen.
Wird der Antrag auf Einstufung in eine Pflegestufe abgelehnt, stellt sich die Frage, was man in einem solchen Fall tun kann. Denn eine Ablehnung stellt Betroffene zumeist vor große Probleme, weil eine adäquate Versorgung nicht gewährleistet werden kann.
1. Widerspruch einlegen
Wer mit der Ablehnung oder bei dem Verdacht der Einstufung in eine zu geringe Pflegestufe nicht zufrieden ist, hat die Möglichkeit, dem Bescheid der Pflegekasse zu widersprechen. Zu beachten ist dabei, dass das Widerspruchsschreiben fristgerecht (binnen 4 Wochen nach Zustellung der Ablehnung) und natürlich schriftlich (Einschreiben mit Rückschein) bei der zuständigen Pflegekasse (NICHT an den MDK) des Hilfebedürftigen eingeht.
Dabei genügt ein formloses Schreiben mit der kurzen Mitteilung,
- dass Sie Widerspruch einlegen und
- die Begründung dazu nachreichen sowie
- um Zusendung des MDK-Gutachtens (Akteneinsicht) bitten.
Dieser Widerspruch ist vom Antragssteller oder seinen gesetzlichen Vertreter (Betreuer) zu unterschreiben.
Normalerweise entscheidet die Pflegekasse über einen Widerspruch rein intern. Hierzu wird vom MDK eine Stellungnahme angefordert und dann erneut, meist nach reiner Aktenlage und ohne Anhörung des Betroffenen, entschieden. Um dies zu verhindern, sollten Sie dem Widerspruchsschreiben unbedingt ihr Pflegetagebuch, Kopien aller zur Verfügung stehenden ärztliche Atteste und Diagnosen und eventuell selbst beauftragte Gutachten beifügen.
Obwohl eine Begründung zunächst nicht erforderlich ist, kann es aber hilfreich sein, die eigene Sicht der Dinge zu begründen. In diesem Fall sollte die Widerspruchsbegründung aber möglichst detailliert auf das MDK Gutachten eingehen, vermeintliche Fehleinschätzungen des Gutachters aufzeigen und den gerechtfertigten Hilfsbedarf deutlich machen.
2. Führung eines Pflegetagebuches
Sofern nicht schon ein Pflegetagebuch geführt wird, sollte spätestens jetzt mit dem Führen eines solchen begonnen werden. In diesem Pflegetagebuch trägt die pflegende Person alle anfallenden Pflegeschritte mit der jeweiligen Pflegedauer in Minuten sorgfältig ein. Das Tagebuch sollte auf jeden Fall bis zur zweiten Begutachtung geführt werden.
Da es bei einer Pflegestufen Begutachtung auf Minuten ankommt, sollte man unbedingt auch spezielle Pflegeerschwernisse mit aufführen. Denn jedes Kriterium, welches vom MDK als Erschwernisfaktor anerkannt wird, wirkt sich positiv auf den Zeitaufwand aus. Oftmals wird der Hilfebedarf übersehen, aus Unwissenheit nicht angegeben oder schlichtweg vergessen.
Zu den Pflegeerschwernissen gehören beispielsweise:
- Körpergewicht des Pflegebedürftigen über 80 kg
- Schluckstörungen, Störungen der Mundmotorik
- Atemstörungen
- Einsteifung großer Gelenke, Fehlstellungen der Extremitäten
- Spastische Lähmungserscheinungen
- Unkontrollierte Bewegungen
- Eingeschränkte Belastbarkeit, infolge verminderter Funktion und Leistung des Herz-Lungen-Kreislaufs
- Abwehrverhalten
- Stark eingeschränkte Sinneswahrnehmung (Hören, Sehen)
- Starke therapieresistente Schmerzen
- Pflegebehindernde räumliche Verhältnisse
- Zeitaufwendiger Hilfsmitteleinsatz
Gerade beim Vorliegen solcher Erschwernisse wird zum Beispiel bei der Mahlzeiten-Zuführung oder beim An- und Ausziehen mehr Zeit benötigt als bei Patienten ohne Vorliegen dieser pflegeerschwerenden Faktoren.
3. Prüfung des Gutachtens
Um die Begründung für die Ablehnung zu erfahren, ist es notwendig, sich von der Pflegekasse eine Kopie des Gutachtens zusenden zu lassen, da in diesem alle Details festgehalten sind, die letztlich zur Entscheidung geführt haben. Es ist zu überprüfen, ob wirkliche alle Hilfeleistungen aufgeführt sind bzw. ob eventuell einzelne Leistungen vergessen wurden.
Ein Ablehnungsgrund liegt zum Beispiel im Nichterreichen der für die jeweilige Pflegestufe erforderlichen Mindestgesamtpflegezeit. Oftmals fehlen hier nur Minuten (!) und das führt zur Ablehnung der beantragten Pflegestufe.
Nach einem Widerspruch prüft der Erstgutachter des MDK sein Gutachten, aufgrund des vorliegenden Einspruchs und der beigefügten Unterlagen, wie dem Pflegetagebuch, erneut und revidiert eventuell seine Meinung. Bleibt der Gutachter jedoch bei seinem Ergebnis, kommt es – nach ca. 4-6 Wochen - zu einem zweiten Besuch des MDK bei dem Hilfebedürftigen. Dieses Zweitgutachten wird aber nicht mehr vom Erstgutachter erstellt. Es ist ein anderer als beim ersten Termin.
Beachten Sie, dass bei einer Begutachtung lediglich eine Momentaufnahme des Pflegealltags sichtbar wird. Durch den fremden Besuch erwachen viele Pflegebedürftige regelrecht aus ihrer Lethargie und sind plötzlich hochmotiviert. In diesem Augenblick können sie oftmals Dinge, die man nicht mehr für möglich geglaubt hätte. Und hier wird es manchmal unfair: Manche Gutachter fragen den Hilfebedürftigen zum Beispiel nach seinem Geburtstag oder wo die Toilette ist und schon gilt der Pflegebedürftige als zeitlich und räumlich orientiert. Daher ist es sehr empfehlenswert, wenn neben den Angehörigen auch fachkundiges Pflegepersonal bei der Begutachtung zugegen ist.
4. Klage vor dem Sozialgericht
Wird dem Widerspruch von der Pflegekasse nicht stattgegeben und erneut die beantragte Pflegestufe abgelehnt kann eine Klage vor dem Sozialgericht ein weiterer Weg in Richtung Pflegestufe sein.
Die Klage ist vor dem zuständigen Sozialgericht einzureichen, wobei sich die Zuständigkeit nach dem Wohnort des Klageführers richtet. Sie ist schriftlich beim zuständigen Gericht zu erheben und muss innerhalb eines Monats eingelegt werden.
Wird die Klage vom Sozialgericht angenommen, kommt es zu einer mündlichen Verhandlung. Zunächst fallen für die Klage keine Gerichtskosten an. Auch für den vom Gericht zu bestellenden sachverständigen Gutachter werden vorerst keine Kosten erhoben. Und wer einen Rechtsanwalt mit seiner Interessenwahrnehmung beauftragt, muss die Kosten erst einmal nicht selbst tragen. Allerdings ist zu beachten, dass die Kostenübernahme vor allem vom Ausgang des Rechtsstreits abhängt.
Viele Pflegebedürftige haben Angst vor einem langwierigen Verfahren und den eventuell entstehenden Kosten einer Klage. Leider rechnen viele Pflegekassen allzu oft mit einem solch ängstlichen Verhalten der Betroffenen und die meisten Hilfebedürftigen geben tatsächlich zu schnell auf und akzeptieren die Einschätzung Ihrer Pflegekasse.
Wenn man mit der Pflegestufe aber nicht einverstanden ist, sollte man nicht zu schnell aufgeben. Oftmals lohnt sich der Kampf um eine höhere Einstufung. Auf jeden Fall ist es ratsam, sich von einem Sachverständigen, einem Rechtsanwalt für Sozialrecht oder auch von seinem Hausarzt beraten zu lassen, um zu klären, welche Chancen man in einem eventuellen Gerichtsverfahren hat, nachdem die beantragte Pflegestufe abgelehnt wurde.