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Viele Medikamente sind zurzeit nicht lieferbar

21. Mai 2020

logo apothekeMan geht zum Arzt, bekommt ein Rezept und erhält in der Apotheke doch nicht das verordnete Medikament. Immer öfter hört man die Begründung: „Momentan leider nicht lieferbar“. Schon seit Jahren steigt die Zahl der gemeldeten Lieferengpässe bei Medikamenten stetig. Und weil die Lieferung wichtiger Medikamente ins Stocken gerät müssen immer mehr Apotheken auf Arzneimittel warten.

Vor allem Ältere und chronisch Kranke, die auf ihre Medikamente angewiesen sind und seit Jahren dieselben Pillen einnehmen sind inzwischen nicht nur beunruhigt sondern reagieren zunehmend ungehaltener.

 

Wann spricht man von einem Lieferengpass bei Medikamenten?

Als Lieferengpass wird eine Unterbrechung der Arzneimittelversorgung bezeichnet, der länger als zwei Wochen anhält. Als Gründe für einen solchen Engpass lassen sich neben auftretenden Produktionsprobleme (z.B. Lieferverzögerungen von Rohstoffen oder Ausgangsmaterialien, Produktionsverzögerungen, Herstellungsprobleme, Qualitätsmängel) auch eine plötzlich auftretende erhöhte Nachfrage nach bestimmten Arzneimitteln benennen.

Lieferengpässe waren in Deutschland früher kein Thema. Inzwischen sind sie zum Alltag geworden und entwickeln sich seit Jahren zu einem immer größer werdenden Thema. Erstmals traten sie Anfang des Jahrtausends auf. Doch seit dem Jahr 2012 haben die Probleme deutlich zugenommen. Von 40 Meldungen (2015) auf 81 Meldungen (2016), auf 108 Meldungen (2017), auf 268 Meldungen (2018) und auf knapp 280 Meldungen (2919). Derzeit sind von rund 103.000 zugelassenen Humanarzneimitteln mehr als 400 Medikamente nicht lieferbar.

Über Lieferengpässe bei Arzneimitteln informiert das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf seiner Website. Dabei ist das Institut jedoch auf die freiwilligen Meldungen der Pharmaindustrie angewiesen.

 

Abhängig von Arzneimittelimporten aus China, Indien und Brasilien

Von den Lieferengpässen betroffen sind vor allem Generika. Folglich die Mittel, deren Patentschutz ausgelaufen ist. Mit mehr als 80 Prozent machen sie den deutschen Arzneimittelmarkt aus. Der Medikamentenengpass ist aber nicht nur ein deutsches, sondern vielmehr ein europäisches Problem, mit dem alle europäischen Länder derweil zu kämpfen haben. So haben die Österreicher Lieferengpässe von bis zu 800 Arzneimitteln und die Schweizer von bis zu 600 Arzneimitteln.

Ein Grund für den Versorgungsengpass liegt in der Produktionsverlagerung von Wirkstoffen nach China, Indien und Brasilien. Wie in anderen Branchen auch, haben geringere Herstellungskosten als auch weniger strenge Arbeits- und Umweltschutzauflagen zur Standortverlagerung in Schwellenländer geführt.

Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie spüren wir, dass die Abhängigkeit von Lieferketten von wenigen Ländern auf der Welt für Europa und damit insbesondere für Deutschland kein optimaler Zustand ist. Zwar produzieren die Hersteller nicht „just in time“, wie andere Wirtschaftsbranchen, bei denen viel schneller Produktionsbeeinträchtigen auftreten. Doch wenn es in diesen Ländern hakt, mangelt es am Nachschub in ganz Europa.

Zusätzlich haben wir aufgrund der Corona-Krise einen erhöhten Bedarf an intensivmedizinischen Arzneimittel und darüber hinaus wird das System auch noch durch Hamsterkäufe belastet.

 

Lieferengpässe haben viele Auswirkungen

Um bei Medikamentenengpässen zusammen mit Ärzten, Großhändlern und Patienten nach Ersatzpräparaten zu suchen müssen Apotheker oftmals sehr viel Zeit aufwenden. Doch letztendlich ist dies meist mit Erfolg verbunden. Nur in seltenen Fällen bleibt Medizinern nichts anderes übrig, als Behandlungen durchzuführen, die nicht dem medizinischen Standard entsprechen.

Aber auch die Bundespolitik hat nach Lösungen gesucht. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelverordnung (Mai 2017), dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelverordnung (August 2019) und dem Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb (März 2020) wird versucht, die Liefer- und Versorgungsengpässe zu minimieren.

Demzufolge dürfen Apotheker in absehbarer Zeit auch teurere Medikamente bei Vorliegen eines Lieferengpasses aushändigen, ohne dass die Kunden zuzahlen müssen. Weiterhin werden die freiwilligen Meldungen seitens der Hersteller und Großhändler an das BfArM nun verpflichtend.

 

Rund 500 versorgungsrelevante Wirkstoffe

Auf der Liste der rund 500 versorgungsrelevanten Wirkstoffe stehen:

  • Arzneimittel zur Behandlung von Krebserkrankungen – Onkologika
  • Arzneimittel zur Behandlung von Infektionskrankheiten – hauptsächlich Antibiotika
  • Arzneimittel zur Behandlung von Depressionen – Psychopharmaka
  • Arzneimittel zur Behandlung von Epilepsien

Zunehmend findet man auf der Liste aber auch ganz banale Schmerzmittel, wie Ibuprofen oder Narkotika, wie Propofol, welches als Narkosemittel im Krankenhaus zum Einsatz kommt.

 

Wenige Hersteller für einen Wirkstoff

Viele Wirkstoffe und Arzneimittel werden heutzutage nur noch von wenigen oder sogar nur noch von einem einzigen Hersteller produziert. Dies kann problematisch werden. So gibt es beispielsweise für Ibuprofen weltweit nur noch fünf Hersteller. Kommt es zu Ereignissen wie Qualitätsmängeln oder einem Stromausfall kann die globale Lieferkette schnell zusammen brechen.

 

Globale Medikamentenherstellung

Durch die günstigen Herstellungskosten in Schwellenländern lohnt sich die Produktion in Europa nicht mehr. Hinzu kommt, dass die Begleitstoffe eines Präparates, wie Aromen und Hilfsstoffe, aus anderen Ländern kommen als die Wirkstoffe. Damit es nicht zu einem sprachlichen Missverständnis kommt, erfolgt deren Verpackung stets im Endverbraucherland. Da wundert es einen nicht, dass so manche Arznei eine Weltreise hinter sich hat, bevor sie den Patienten erreicht.

 

Rabattverträge der Krankenkassen

Mit dem Ziel, dass Gesundheit nicht unbezahlbar wird, haben die gesetzlichen Krankenkassen das System von Rabattverträgen entwickelt. Auf diesem Wege können die Krankenkassen Rabattverträge mit einem oder mehreren Arzneimittelherstellern abschließen, die ihnen vielfach beträchtliche Preisnachläse einräumen und den Produzenten einen gesicherten Absatz bescheren.

Letztendlich soll das auch den Versicherten zugutekommen. Doch in der Regel profitieren sie nicht davon, da die Pharmazeutische Industrie ihre Medikamente lieber an diejenigen veräußert, die auch dafür bereit sind, einen höheren Preis zu zahlen.

Mit diesen Rabattverträgen sparen die Krankenkassen jährlich etwa viereinhalb Milliarden Euro. Soweit ein wichtiges und notwendiges Instrumentarium. Kritik wird auch nur dann laut, wenn Krankenkassen Rabattverträge nur mit einem einzigen Hersteller abschließen. Werden hingegen mehrere Produzenten für ein Medikament unter Vertrag genommen, lösen sie seltener Versorgungsengpässe aus.

 

Europäische Arzneimittelproduktion

Gerade jetzt, in Zeiten von Corona, werden verstärkt Forderungen laut, dass zumindest Arzneimittel zur Behandlung von sehr schwerwiegenden Erkrankungen wieder in Europa hergestellt werden sollten. Da sich aber eine europäische Produktion nicht zu solch niedrigen Preisen wie in Asien oder Südamerika durchführen lässt, wären flankierende Maßnahmen seitens Europas notwendig.

 

Apothekerverband fordert Stopp des Versandhandels

Kritik wird vor dem Hintergrund geäußert, dass der Online-Apothekenversand dringend benötigte Arzneien in seinen Lägern vorhält und diese tagelang benötigen, bis sie letztlich per Post beim Patienten ankommen, während die Apotheke mehrmals am Tag vom Großhändler beliefert wird. Auch macht es keinen Sinn, dass zum Beispiel fiebersenkende Mittel oder Antibiotika in der niederländischen Versandapotheke bereitgehalten werden. Benötigt ein Patient schnellst möglichst sein für ihn wichtiges Medikament wählt er zu 90 Prozent den Gang zu seiner Apotheke. Aus diesem Grund wäre es wichtiger, dass Arzneimittel in der Apotheke vor Ort verfügbar wären.

 

Tipp für Patienten

Laut BfArM sind mit Stand 16. Mai 2020 aktuell 414 Medikamente (ohne Impfstoffe) nicht verfügbar. Hierunter fallen auch Standardarzneimittel wie Antibiotika, Antidepressiva, Schmerzmittel und bestimmte Blutdrucksenker. Patienten, die darauf angewiesen sind müssen zwangsläufig auf ein anderes Präparat ausweichen. Doch viele Erkrankte haben Angst vor den Nebenwirkungen und scheuen sich davor, ein anderes Medikament einzunehmen.

Daher sollten Patienten, die auf die regelmäßige Einnahme von Medikamenten angewiesen sind, rechtzeitig zum Arzt gehen und sich ein neues Rezept ausstellen lassen. Keinesfalls sollten sie bis zur letzten Pille warten, denn nur so haben Apotheken die notwendige Zeit, gegebenenfalls Ersatzpräparate zu bestellen und zuvor mit dem Arzt Rücksprache zu halten.